|
|
"...Da nun alle Teile und Gliedmaßen des sterblichen Geschöpfes zusammengewachsen waren, an Feuer und Luft aber sein Lebensgang aus Notwendigkeit gebunden war, und da es von jenem zerschmolzen und von dieser ausgesogen, deshalb vernichtet würde, so bereiten die Götter ihm hiergegen eine Abhilfe: sie erzeugen nämlich eine der menschlichen verwandte Natur, die sie aber mit einer anderen Gestalt und anderen Empfindungen ausrüsten, so daß sie ein anderes Geschöpf wird. Es sind dies nämlich die B ä u m e und P f l a n z e n mit ihren Samen und Früchten, welche jetzt durch die Pflege des Landbaues veredelt und gleichsam gezähmt an uns gewöhnt sind, während es vormals nur die wilden Gattungen gab, die ja älter sind als die veredelten. Alles nämlich, was nur irgend teilhat am Leben, wird auch lebendiges Geschöpf mit vollem Rechte genannt werden. Hat doch dies, von dem wir sprechen, wenigstens an jener dritten Art von Seele teil, welche nach unserer Lehre zwischen Zwerchfell und Nabel ihren Sitz hat, und zwar nichts von Vorstellung, Überlegung und Vernunft, wohl aber Empfindung des Angenehmen und Unangenehmen verbunden mit Begierden in sich trägt. Denn es verhält sich überall nur leidend. Daß es aber in sich selber und um sich selber kreise und die von außen kommende Bewegung zurückstieße, um der ihm eigenen zu folgen und so etwas von seinem eigenen Wesen schauend sich die Natur zum Bewußtsein zu bringen: das hat die Schöpfung ihm nicht verliehen. Daher lebt es zwar und ist nicht anders als ein lebendiges Geschöpf zu nennen, haftet aber eingewurzelt an derselben Stelle fest, weil es der eigenen Bewegung beraubt ist..."
Platon, "Timaios und Kritias"
|